Veröffentlicht am Mai 17, 2024

Der grösste Fehler im Einkauf ist, den Incoterm als reine Formsache zu betrachten; in Wahrheit ist er der stärkste Hebel zur Steuerung von Kosten und Risiken in der Lieferkette.

  • Ein scheinbar günstiger EXW-Preis („Ab Werk“) entpuppt sich oft als Kostenfalle durch unkontrollierbare Transport-, Versicherungs- und Haftungsrisiken.
  • Die Klauseln DAP („Geliefert benannter Ort“) oder FCA („Frei Frachtführer“) geben Ihnen als Käufer die strategische Kontrolle über die Haupttransportstrecke und die damit verbundenen Kosten zurück.

Empfehlung: Bestehen Sie in Verhandlungen auf einer Gesamtkostenbetrachtung (Total Cost of Ownership) anstelle eines reinen Ab-Werk-Preisvergleichs, um Ihre Marge und Liefertermine wirklich zu sichern.

Als Einkäufer in der Schweiz stehen Sie unter konstantem Druck, die besten Preise zu verhandeln. In diesem Spiel scheint die Incoterms-Klausel EXW („Ex Works“ oder „Ab Werk“) auf den ersten Blick ein Trumpf zu sein. Der Verkäufer nennt Ihnen einen nackten Produktpreis, und Sie organisieren den Rest. Das klingt nach maximaler Kostenkontrolle. Doch genau hier beginnt für viele Schweizer Unternehmen eine teure Odyssee, gespickt mit unvorhergesehenen Kosten, Haftungsrisiken und operativem Chaos. Die Realität ist oft, dass der vermeintlich günstige EXW-Preis zu einem der teuersten Abenteuer Ihrer Lieferkette wird.

Die landläufige Meinung ist, dass die volle Kontrolle über den Transport zu den niedrigsten Kosten führt. Aber was, wenn diese „Kontrolle“ eine Illusion ist? Was, wenn Sie die Verantwortung für Risiken übernehmen, die Sie aus der Ferne gar nicht steuern können – wie die ordnungsgemässe Verladung der Ware in einem Werk in einem anderen Land? Der entscheidende Denkfehler liegt in der Verwechslung von Verantwortung und tatsächlicher Kontrolle. Ein niedriger Einkaufspreis ist wertlos, wenn er durch explodierende Transportversicherungsprämien, unklare Haftungsfragen bei Transportschäden und Verzögerungen in der Zollabwicklung aufgefressen wird.

Dieser Artikel bricht mit dem Mythos des günstigen EXW-Preises. Wir analysieren aus der Perspektive eines erfahrenen Verhandlungsführers, warum eine Klausel wie DAP („Delivered at Place“), die auf den ersten Blick teurer erscheint, Ihnen als Schweizer Einkäufer in Wahrheit mehr Planungssicherheit und eine bessere Gesamtkostenstruktur bietet. Es geht darum, die Kontrolle dort zu übernehmen, wo sie strategisch sinnvoll ist, und die Risiken bei dem Partner zu belassen, der sie am besten managen kann. Wir werden die konkreten Kostenfallen und Haftungsrisiken der gängigsten Incoterms beleuchten und Ihnen praxiserprobte Strategien an die Hand geben, um Ihre nächste Vertragsverhandlung zu meistern und Ihre Lieferkette wirklich zu optimieren.

Dieser Leitfaden ist Ihr strategisches Handbuch, um die Incoterms 2020 nicht nur administrativ zu verstehen, sondern sie als wirkungsvolles Instrument in Ihren Vertragsverhandlungen für Importe in die Schweiz einzusetzen. Anhand von acht praxisnahen Analysen decken wir die verborgenen Tücken auf und zeigen Ihnen, wie Sie Kostenfallen vermeiden.

Warum Sie bei „Ab Werk“ für Schäden bei der Beladung haften, obwohl Sie nicht dort sind

Die Klausel „Ex Works“ (EXW) ist die grösste Kostenfalle für unvorsichtige Einkäufer. Sie suggeriert einen unschlagbar niedrigen Preis, da der Verkäufer die Ware lediglich in seinen Räumlichkeiten zur Abholung bereitstellen muss. Der kritische Punkt, den viele übersehen: Der Gefahrenübergang findet statt, bevor die Ware auf dem LKW verladen ist. Das bedeutet, wenn der Gabelstapler des Verkäufers Ihre wertvolle Maschine beim Beladen fallen lässt, ist das rechtlich Ihr Problem. Sie haften für einen Schaden, der Hunderte von Kilometern entfernt passiert, in einem Werk, in dem Sie keinerlei operative Kontrolle haben. Dieser Kontrollverlust ist das exakte Gegenteil von Risikomanagement.

Für Schweizer Unternehmen summiert sich das finanzielle Risiko beträchtlich. Die jährliche Schadenssumme im Transportwesen ist enorm, und ein grosser Teil davon entsteht bei der Verladung und dem Umschlag. Eine Untersuchung der Schweizer Transportversicherer beziffert die jährliche Schadensumme auf über 316 Millionen Franken allein in der Schweiz. Bei einem EXW-Vertrag tragen Sie als Käufer dieses Risiko vom ersten Moment an. Ein Praxisfall zeigt, dass eine Schweizer Firma bei EXW-Vereinbarungen alle Kosten und Risiken ab dem Werk des Verkäufers trägt, auch wenn sie beim Verladen physisch nicht anwesend ist. Sich auf die Sorgfalt des Verkäufers zu verlassen, ist keine Strategie, sondern ein teures Glücksspiel.

Die Lösung besteht nicht darin, EXW blind zu akzeptieren, sondern die Klausel zu Ihren Gunsten zu modifizieren oder eine bessere Alternative wie FCA zu wählen. Als Verhandlungsführer müssen Sie das Beladerisiko proaktiv ansprechen. Wenn der Verkäufer auf EXW besteht, ist eine vertragliche Zusatzvereinbarung unerlässlich. Ohne eine solche Absicherung kaufen Sie nicht nur eine Ware, sondern auch ein unkalkulierbares Risiko.

Ihr Aktionsplan zur Absicherung von EXW-Risiken

  1. Klausel anpassen: Vereinbaren Sie explizit die Klausel „EXW loaded“ (Ab Werk verladen), um das Risiko der Beladung klar dem Verkäufer zuzuordnen.
  2. Ort präzisieren: Definieren Sie im Vertrag den exakten geografischen Punkt des Gefahrenübergangs (z.B. „Rampe 7, nach Abschluss der Beladung“), anstatt nur „EXW Werk“ zu schreiben.
  3. Haftung regeln: Treffen Sie eine separate schriftliche Vereinbarung, die die Haftung für Schäden während des Beladevorgangs durch das Personal des Verkäufers regelt.
  4. Versicherung prüfen: Schliessen Sie eine „Von-Haus-zu-Haus“-Transportversicherung mit All-Risk-Deckung (ICC A) ab und klären Sie mit Ihrem Schweizer Versicherer, ob Beladeschäden am Abgangsort explizit gedeckt sind.
  5. Alternative verhandeln: Prüfen Sie als strategische Alternative immer die FCA-Klausel, bei der der Verkäufer für die Beladung und die Übergabe an Ihren Frachtführer verantwortlich ist.

Geliefert verzollt: Warum DDP für den Verkäufer steuerlich zum Albtraum werden kann

Auf der anderen Seite des Spektrums steht DDP („Delivered Duty Paid“ oder „Geliefert verzollt“). Für Sie als Käufer klingt diese Klausel wie das Rundum-sorglos-Paket: Der Verkäufer kümmert sich um alles, inklusive Transport, Versicherung und die Einfuhrverzollung in die Schweiz. Sie erhalten die Ware fixfertig an Ihrer Tür. Doch was passiert, wenn der Verkäufer die Komplexität der Schweizer Zoll- und Steuergesetze unterschätzt? Sein Problem wird schnell zu Ihrem, denn operative Reibung beim Import führt unweigerlich zu Lieferverzögerungen.

Der steuerliche Albtraum für den ausländischen Verkäufer beginnt bei der Schweizer Einfuhrumsatzsteuer (EUSt). Bei einer DDP-Lieferung ist er der Importeur und somit verpflichtet, diese Steuer zu entrichten. Viele ausländische Unternehmen sind sich nicht bewusst, dass sie sich dafür in der Schweiz als Steuerpflichtige registrieren lassen müssen, wenn sie bestimmte Umsatzschwellen erreichen. Diese bürokratische Hürde wird oft erst an der Grenze entdeckt, was zu wochenlangen Verzögerungen führen kann, während Ihre Produktion auf die Teile wartet. Der Verkäufer hat zwar die Verantwortung, aber keine lokale Expertise – eine gefährliche Kombination.

Eine Fallstudie zur DDP-Problematik zeigt, dass ausländische Verkäufer bei Lieferungen in die Schweiz die Einfuhrumsatzsteuer entrichten müssen. Seit Juli 2021 können Händler zwar das IOSS-Portal der EU für Sendungen bis 150 Euro nutzen, was die Abwicklung vereinfacht, doch für höherwertige B2B-Lieferungen greift dieser Mechanismus nicht. Wenn Ihr Lieferant die steuerlichen Anforderungen nicht erfüllt, bleibt die Ware im Zoll stecken. Für Sie als Einkäufer bedeutet das: Produktionsstillstand, unzufriedene Kunden und interner Rechtfertigungsdruck – alles wegen einer Klausel, die eigentlich Sicherheit versprechen sollte.

Warum FOB für Container ungeeignet ist und Sie lieber FCA nutzen sollten

Ein klassischer, aber immer noch weit verbreiteter Fehler im internationalen Handel ist die Verwendung von FOB („Free on Board“) für den Containertransport. Die Regel scheint einfach: Das Risiko geht vom Verkäufer auf den Käufer über, sobald die Ware die „Schiffsreling“ im Ladehafen überschreitet. Dieses Konzept stammt jedoch aus einer Zeit, als Stückgut von Hand oder per Kran einzeln an Bord gehievt wurde. Im modernen Containerzeitalter ist die Schiffsreling ein veralteter und gefährlich unpräziser Übergabepunkt.

Das Problem: Container werden heutzutage nicht an der Reling, sondern Tage oder sogar Wochen vorher im Hafenterminal an den Frachtführer übergeben. Wenn Ihr Container im Terminal beschädigt wird – sei es durch Umkippen, Witterungseinflüsse oder falsche Handhabung –, bevor er überhaupt in die Nähe des Schiffes kommt, entsteht eine juristische Grauzone. War der Schaden vor oder nach dem (imaginären) Überschreiten der Reling? Diese Unklarheit führt zu langwierigen Streitigkeiten zwischen Verkäufer, Käufer und den jeweiligen Versicherungen. Als Einkäufer verlieren Sie Zeit, Geld und Nerven.

Visualisierung des Gefahrenübergangs bei FCA am Terminal versus FOB an der Schiffsreling

Die weitaus bessere und für den Containerverkehr vorgesehene Klausel ist FCA („Free Carrier“ oder „Frei Frachtführer“). Hier erfolgt der Gefahrenübergang an einem klar definierten Punkt an Land: nämlich dann, wenn der Verkäufer die Ware dem von Ihnen benannten Frachtführer (z.B. im Hafenterminal) übergibt. Dieser Moment ist exakt dokumentierbar. Wie die ICC-zertifizierte Incoterms-Trainerin Claudia Feusi von der Zollschule.ch hervorhebt, ist der Vorteil von FCA die Klarheit:

Der Übergabepunkt ist klar dokumentiert durch das ‚Forwarder’s Certificate of Receipt‘. Bei FOB entsteht oft ein Streit, ob der Schaden vor oder nach dem Überschreiten der Schiffsreling passiert ist.

– Claudia Feusi, Zollschule.ch Interview

Ein weiterer strategischer Vorteil von FCA für Schweizer Käufer: Sie wählen den Hauptfrachtführer und gewinnen so die Kontrolle über die gesamte Transportkette von Anfang an, was die Koordination mit Ihren bevorzugten Schweizer Spediteuren massiv erleichtert. Sie haben die Hebelwirkung in der Hand.

Welche Deckungssumme müssen Sie bei CIP laut den neuen 2020er Regeln garantieren?

Die Klauseln CIP („Carriage and Insurance Paid To“) und ihr Pendant für die Seefracht, CIF, verpflichten den Verkäufer, nicht nur den Transport zu organisieren, sondern auch eine Transportversicherung zugunsten des Käufers abzuschliessen. Eine der wichtigsten Änderungen der Incoterms 2020 betrifft genau die Qualität dieser Versicherung. Als Einkäufer müssen Sie diese Neuerung kennen, um nicht unterversichert zu sein.

Unter den alten Incoterms 2010 reichte bei CIP eine Mindestdeckung gemäss den „Institute Cargo Clauses (C)“. Diese bot lediglich Schutz gegen benannte Grossgefahren wie Brand, Explosion oder das Entladen in einem Nothafen. Risiken wie Diebstahl, Beschädigung durch Nässe oder unsachgemässe Behandlung waren nicht abgedeckt. Für hochwertige Güter, wie sie oft in die Schweiz importiert werden (z.B. Maschinen, Pharmazeutika, Uhrenteile), war diese Deckung völlig unzureichend.

Die Incoterms 2020 haben diese Lücke geschlossen und die Anforderungen für CIP deutlich erhöht. Neu ist der Verkäufer verpflichtet, eine Versicherung mit Höchstdeckung abzuschliessen. Gemäss den neuen Incoterms 2020 Regelungen ist nun eine „Institute Cargo Clauses (A)“ All-Risk-Deckung der Standard. Diese deckt „alle Gefahren“ ab, die nicht explizit ausgeschlossen sind, und bietet damit einen wesentlich umfassenderen Schutz, der dem Wert Ihrer Waren eher gerecht wird. Für die Seefrachtklausel CIF bleibt es kurioserweise bei der minimalen C-Deckung, weshalb Sie hier besonders wachsam sein müssen.

Als umsichtiger Einkäufer dürfen Sie sich jedoch nicht blind auf die Zusage des Verkäufers verlassen. Es ist Ihre Pflicht, die Police zu prüfen. Die folgenden Punkte sind dabei entscheidend:

  • Verifizierung der Klausel: Liegt tatsächlich eine Police mit ICC (A) Deckung vor?
  • Versicherungswert: Deckt der Versicherungswert mindestens 110 % des Warenwerts (Rechnungswert + Fracht + erwarteter Gewinn), wie es die Regel vorsieht?
  • Zusatzkosten: Sind auch potenzielle Zoll- und Nachlaufkosten im Schadensfall mitversichert?
  • Anforderung der Police: Bestehen Sie darauf, das Original der Versicherungspolice oder das Zertifikat vor der Verschiffung zu erhalten und zu prüfen.

An welchem geografischen Punkt genau geht das Risiko bei DAP auf Sie über?

Die Klausel DAP („Delivered at Place“ oder „Geliefert benannter Ort“) ist oft die strategisch intelligenteste Wahl für Schweizer Einkäufer und eine exzellente Alternative zur Kostenfalle EXW. Sie bietet einen klaren und fairen Kompromiss: Der Verkäufer trägt alle Kosten und Risiken des Transports bis zu einem von Ihnen exakt benannten Bestimmungsort in der Schweiz. Aber was bedeutet „bis zum Bestimmungsort“ genau?

Die Präzision dieser Klausel ist ihr grösster Vorteil. Der Gefahrenübergang findet statt, wenn die Ware am benannten Ort auf dem ankommenden Transportmittel zur Entladung bereitgestellt wird. Der Verkäufer ist also verantwortlich für die gesamte Transportstrecke, inklusive aller potenziellen Schäden oder Verluste unterwegs. Ihr Risiko beginnt erst, wenn der LKW an Ihrer Rampe steht. Für das eigentliche Entladen sind dann Sie als Käufer verantwortlich. Diese klare Trennung vermeidet die unklare Haftungssituation bei EXW (Beladung) und die steuerlichen Fallstricke von DDP (Importverzollung).

Präzise Darstellung des Risikoübergangs bei DAP-Lieferung in eine Schweizer Bergregion

Der Schlüssel zum Erfolg mit DAP liegt in der möglichst genauen Definition des Bestimmungsortes im Kaufvertrag. „DAP Zürich“ ist zu ungenau und kann zu Streitigkeiten führen. Ist der Stadtrand gemeint? Ihr Werkstor? Eine bestimmte Rampe? Eine präzise Angabe wie „DAP, Rampe 5, Mustermann AG, Industriestrasse 10, 8005 Zürich, Schweiz“ schafft unmissverständliche Klarheit. Eine Fallstudie zur DAP-Präzision in der Schweizer Praxis bestätigt, dass der Verkäufer alle Gefahren bis zur Ankunft am definierten Ort trägt. Es ist wichtig zu wissen: DAP verpflichtet den Verkäufer nicht zur Entladung. Die einzige Klausel, die dies tut, ist DPU („Delivered at Place Unloaded“).

Für Sie als Einkäufer bedeutet DAP die perfekte Balance: Sie überlassen das Transportrisiko dem Experten (dem Verkäufer und seinem Frachtführer) und übernehmen die Kontrolle erst in dem Moment, in dem die Ware physisch bei Ihnen eintrifft. Sie haben volle Planungssicherheit und schützen sich vor den Kosten explodierender Frachtraten oder unvorhergesehener Transportschäden auf dem Weg in die Schweiz.

Warum das Fehlen des Incoterms auf der Rechnung zu falschen Zollberechnungen führt

Die Wahl des richtigen Incoterms ist die eine Hälfte der strategischen Miete. Die andere, oft unterschätzte Hälfte ist die korrekte Dokumentation. Ein scheinbar triviales Versäumnis – das Fehlen der Incoterm-Klausel auf der Handelsrechnung – kann für Sie als Schweizer Importeur direkte und teure finanzielle Konsequenzen haben, da es die Grundlage der Zollwertermittlung durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) verfälscht.

Der Zollwert ist die Basis, auf der die Einfuhrumsatzsteuer und allfällige Zölle berechnet werden. Er soll den Wert der Ware an der Schweizer Grenze widerspiegeln. Dazu gehören neben dem reinen Warenwert auch die Transport- und Versicherungskosten bis zur Grenze. Die Incoterm-Klausel gibt dem Zoll den entscheidenden Hinweis darauf, welche dieser Kosten bereits im Rechnungspreis enthalten sind und welche nicht.

Ein praktisches Beispiel von Fachexperten verdeutlicht die Kostenfalle: Stellen Sie sich eine Rechnung über 50’000 CHF für eine Maschine aus Deutschland vor, auf der der Incoterm fehlt. Der Schweizer Zollagent muss nun eine Annahme treffen. Geht er vom für den Verkäufer günstigsten Fall aus (EXW), muss er die Transportkosten zum Warenwert addieren. Er schätzt diese auf 2’000 CHF und setzt den Zollwert auf 52’000 CHF fest. Sie zahlen die Einfuhrsteuer auf diesen höheren Betrag. Wenn der Handel aber tatsächlich als „DAP Zürich“ vereinbart war, wären die Transportkosten bereits im Rechnungspreis von 50’000 CHF enthalten gewesen. Die Zollbasis wurde also fälschlicherweise um 2’000 CHF zu hoch angesetzt, und Sie haben zu viel Steuer bezahlt. Diesen Fehler im Nachhinein zu korrigieren, ist ein aufwendiger administrativer Prozess.

Als Einkäufer müssen Sie daher unbedingt darauf bestehen, dass Ihre Lieferanten die vereinbarte Incoterms-Klausel inklusive des Ortes (z.B. „FCA Hamburg“ oder „DAP Bern“) korrekt auf der Handelsrechnung aufführen. Dies ist kein „Nice-to-have“, sondern eine zwingende Voraussetzung für eine korrekte und effiziente Zollabwicklung und schützt Sie direkt vor zu hoch angesetzten Abgaben.

Das Bill of Lading: Warum dieses Papier wertvoller ist als die Ware selbst

Im internationalen Handel, insbesondere in der Seefracht, gibt es ein Dokument, dessen Bedeutung die der physischen Ware oft übersteigt: das Konnossement, besser bekannt als Bill of Lading (B/L). Für einen Schweizer Einkäufer, der auf die pünktliche Ankunft seiner Güter angewiesen ist, ist das Verständnis dieses Dokuments absolut entscheidend. Das B/L ist weit mehr als nur ein Frachtbrief; es ist ein Wertpapier.

Das Bill of Lading erfüllt drei zentrale Funktionen:

  1. Empfangsbestätigung: Es bestätigt, dass der Frachtführer (die Reederei) die Ware in dem beschriebenen Zustand und in der genannten Menge übernommen hat.
  2. Frachtvertrag: Es beurkundet den Vertrag zwischen dem Versender und der Reederei.
  3. Traditionspapier: Dies ist die wichtigste Funktion. Das Original-B/L repräsentiert das Eigentum an der Ware. Wer das ordnungsgemäss indossierte Original-B/L besitzt, hat Anspruch auf die Herausgabe der Ware im Zielhafen.

Gerade die Funktion als Traditionspapier macht das B/L im Schweizer Bankgeschäft, insbesondere bei der Finanzierung über ein Akkreditiv (Letter of Credit), unverzichtbar. Die Bank zahlt dem Verkäufer den Kaufpreis nur gegen Vorlage der im Akkreditiv geforderten Dokumente, allen voran des sauberen Original-B/L. In diesem Kontext ist das Papier buchstäblich so wertvoll wie die Ware selbst. Doch diese Wertigkeit birgt auch Risiken wie Fälschung und Verlust. Die Entwicklung fälschungssicherer elektronischer Konnossemente (e-B/L) durch Plattformen wie Bolero oder WAVE BL schreitet voran, doch ihre rechtliche Akzeptanz ist global noch nicht einheitlich.

Als Importeur müssen Sie sicherstellen, dass Sie ein echtes und korrektes B/L erhalten. Eine sorgfältige Prüfung ist unerlässlich, um Betrug oder kostspielige Verzögerungen bei der Warenfreigabe zu vermeiden.

Checkliste zur Echtheitsprüfung von B/L für Schweizer Importeure

  1. Reederei-Authentizität: Verifizieren Sie die Existenz der Reederei über offizielle Kanäle oder Branchenverbände.
  2. Online-Tracking: Überprüfen Sie die Container- oder B/L-Nummer auf der offiziellen Tracking-Website des Carriers. Stimmen die Daten?
  3. Datenkonsistenz: Kontrollieren Sie alle Angaben auf dem B/L (Absender, Empfänger, Häfen, Schiffsname, Daten, Mengen, Gewichte) auf Konsistenz mit dem Kaufvertrag und anderen Dokumenten.
  4. Stempel und Unterschriften: Prüfen Sie die Original-Stempel und Unterschriften auf Echtheit. Bei Verdacht können Vergleichsmuster helfen.
  5. Alternative nutzen: Bei Zweifeln oder bei vertrauenswürdigen Partnern ist ein „Telex Release“ oder „Express Release“ eine sichere und schnellere Alternative zum physischen B/L, da die Ware ohne Originaldokument freigegeben wird.

Das Wichtigste in Kürze

  • EXW ist eine Kostenfalle: Der scheinbar günstigste Preis birgt durch den frühen Gefahrenübergang und den Kontrollverlust die höchsten versteckten Kosten und Risiken.
  • FCA ist der Standard für Container: Im Gegensatz zum veralteten FOB bietet FCA einen klaren, dokumentierbaren Gefahrenübergang an Land und gibt Ihnen die Kontrolle über die Hauptfracht.
  • Dokumentation ist entscheidend: Eine korrekte Handelsrechnung mit Incoterm und ein geprüftes Bill of Lading sind genauso wichtig wie die Wahl der Klausel selbst, um Zollprobleme und Betrug zu vermeiden.

Handelsrechnung für den Export: Welche 5 Pflichtangaben darf kein Schweizer Exporteur vergessen?

Obwohl dieser Leitfaden sich primär an Einkäufer richtet, ist das Verständnis für die Anforderungen an eine korrekte Handelsrechnung aus Schweizer Sicht entscheidend. Nur wenn Sie wissen, was Ihr Handelspartner im Ausland von Ihnen benötigt (und umgekehrt), können Sie reibungslose Prozesse sicherstellen. Eine mangelhafte Rechnung führt unweigerlich zu Verzögerungen und Kosten auf beiden Seiten. Jede Handelsrechnung für den Export aus der Schweiz muss fünf zentrale Angaben enthalten, um die Zollabwicklung im Bestimmungsland zu bestehen.

Die fünf Pflichtangaben sind:

  • Genaue Warenbeschreibung: Eine allgemeine Bezeichnung wie „Ersatzteile“ ist unzureichend. Erforderlich ist eine präzise Beschreibung, die eine eindeutige zolltarifliche Einreihung ermöglicht.
  • Zolltarifnummer: Die 8-stellige statistische Warennummer gemäss dem Schweizer Tares-System. Sie ist die Basis für die korrekte Verzollung weltweit.
  • Warenursprung: Die Angabe des Herstellungslandes (z.B. „Ursprung: Schweiz“). Dies ist entscheidend für die Anwendung von Freihandelsabkommen.
  • Incoterms-Klausel: Wie bereits ausführlich besprochen, muss die vereinbarte Klausel mit Ortsangabe (z.B. „DAP New York“) aufgeführt sein.
  • Wert und Währung: Der korrekte Wert der Ware, der als Basis für die Verzollung dient.

Eine besonders wichtige Angabe ist der präferenzielle Warenursprung, der durch eine Ursprungserklärung auf der Rechnung oder eine Warenverkehrsbescheinigung (EUR.1) nachgewiesen wird. Dies ermöglicht eine zollfreie oder zollreduzierte Einfuhr im Bestimmungsland. Eine aktuelle Entwicklung für Schweizer Unternehmen ist hierbei von Bedeutung: Obwohl seit dem 1. Januar 2024 beim Import von Industriegütern in die Schweiz keine Zölle mehr anfallen, bleibt der Nachweis des Schweizer Ursprungs für den Export entscheidend. Er ist die Voraussetzung dafür, dass Ihr Kunde im Ausland von Zollvorteilen profitieren kann. Bei Warenwerten bis zu 10’300 CHF (oder 6’000 EUR in die EU) genügt in der Regel eine formelle Ursprungserklärung direkt auf der Rechnung.

Nachdem Sie nun die strategische Bedeutung der Incoterms und die Fallstricke in der Dokumentation kennen, besteht der nächste logische Schritt darin, dieses Wissen in Ihren Verhandlungsprozess zu integrieren. Sorgen Sie dafür, dass Ihr nächster Liefervertrag diese Punkte explizit und unmissverständlich regelt, um kostspielige Überraschungen zu vermeiden und Ihre Marge nachhaltig zu sichern.

Geschrieben von Sabine Keller, Eidg. dipl. Aussenhandelsleiterin und Expertin für Zoll- und Exportkontrolle. Spezialisiert auf Compliance und grenzüberschreitenden Warenverkehr.