Veröffentlicht am März 12, 2024

In der Schweizer Alpenlogistik ist das Ziel nicht, Verspätungen zu eliminieren, sondern ihre finanziellen Auswirkungen durch berechenbare Risiken zu neutralisieren.

  • Die wahren Kosten einer Verspätung entstehen nicht im Tunnel, sondern am Produktionsband, das wegen eines fehlenden Teils stillsteht.
  • Moderne Speditionen verkaufen keine Transporte mehr, sondern vertraglich abgesicherte Pünktlichkeitsgarantien, die auf proaktiver Systemintelligenz basieren.

Empfehlung: Analysieren Sie Ihre Logistikverträge nicht nach Frachtraten, sondern nach den definierten Haftungen und Kompensationen bei prognostiziertem Terminverlust.

Als Chef der Logistikabteilung kenne ich das Gefühl nur zu gut: Der Blick klebt am Monitor, der das GPS-Signal eines LKWs anzeigt. Er steht. Vor dem Gotthard. Wieder einmal. Jede Minute, die vergeht, ist nicht nur eine Zahl auf der Uhr, sondern ein wachsender Posten in der Kostenkalkulation. In der Welt der zeitkritischen Lieferketten, sei es für die Pharmaindustrie oder frische Lebensmittel, ist Pünktlichkeit keine Tugend, sondern die Währung, in der wir handeln. Die üblichen Ratschläge – Winterreifen, vorausschauend planen – sind längst Hygienefaktoren, keine Strategie.

Die Realität des Alpentransits ist rau und unberechenbar. Schnee, Lawinengefahr, Unfälle und Staus sind keine Ausnahmen, sondern feste Bestandteile der täglichen Planung. Wer hier nur reagiert, hat schon verloren. Die entscheidende Frage für jeden Supply Chain Manager lautet daher nicht: „Wie vermeiden wir Staus?“, sondern „Wie bauen wir eine Lieferkette, die robust genug ist, um die Unvermeidbarkeit von Störungen zu absorbieren, ohne dass unsere Produktion in Basel oder Genf zusammenbricht?“.

Doch was, wenn der wahre Schlüssel nicht darin liegt, krampfhaft jede Verzögerung zu verhindern, sondern darin, die Unpünktlichkeit selbst zu einer kalkulierbaren Grösse zu machen? Dieser Artikel bricht mit der Vorstellung von einer perfekten, störungsfreien Logistik. Stattdessen tauchen wir tief in die Mechanismen ein, die Premium-Speditionen in der Schweiz anwenden, um nicht einfach nur Güter zu transportieren, sondern um die Kosten der Unpünktlichkeit zu managen. Es geht um eine radikale Verlagerung des Fokus: weg von der reinen Transportleistung, hin zur präzisen Risikoquantifizierung, proaktiver Systemintelligenz und wasserdichter vertraglicher Absicherung.

Wir werden untersuchen, wie aus einem unvorhersehbaren Wetterereignis eine planbare logistische Operation wird und warum die teuerste Spedition am Ende oft die günstigste ist. Begleiten Sie mich auf eine Reise ins Herz der Schweizer Logistik, wo Präzision nicht auf der Strasse, sondern in den Daten und Verträgen beginnt.

Dieser Leitfaden ist strukturiert, um Ihnen als Supply Chain Manager die strategischen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen Sie die Zuverlässigkeit Ihrer Alpen-Transporte bewerten und optimieren können. Der folgende Überblick zeigt die Kernthemen, die wir im Detail behandeln werden.

Warum 30 Minuten Verspätung am Gotthard ein Fliessband in Basel stoppen können

Die Vorstellung, dass eine halbe Stunde Verzögerung im Alpentransit eine ganze Produktionslinie lahmlegen kann, wirkt dramatisch, ist aber die tägliche Realität der Just-in-Time-Produktion. In Branchen wie der Schweizer Präzisionsindustrie oder der Pharmalogistik sind Lieferketten auf die Minute genau getaktet. Ein fehlendes Bauteil oder eine kritische pharmazeutische Substanz führt nicht nur zu einer Pause, sondern zu einem teuren Produktionsstillstand. Die Kosten der Unpünktlichkeit sind hier nicht die Kosten für den LKW-Fahrer, sondern die Opportunitätskosten der gesamten Fabrik.

Die Schweizer Wirtschaft ist extrem von funktionierenden Logistikadern abhängig. Die Alpen sind dabei das Nadelöhr. Die Verlagerungspolitik des Bundes unterstreicht diese Kritikalität: Laut dem Bundesamt für Verkehr werden fast 75 Prozent des alpenquerenden Güterverkehrs über die Schiene abgewickelt. Diese hohe Abhängigkeit von einem System bedeutet auch eine hohe Anfälligkeit. Ein technischer Defekt an der Bahnstrecke oder eine Strassensperrung hat sofort weitreichende Konsequenzen für das ganze Land.

Ein Supply Chain Manager muss daher die 30 Minuten am Gotthard nicht als Transportproblem, sondern als strategisches Geschäftsrisiko bewerten. Es geht darum, die Dominoeffekte zu verstehen: Die Verspätung führt zur Verpassung eines Zeitfensters am Warendepot, was die nächste geplante Auslieferung verzögert und schliesslich das Fliessband in Basel stoppt, weil die Pufferlager in einer Just-in-Time-Umgebung minimal sind. Die Risikoquantifizierung beginnt genau hier: Was kostet uns jede Minute, die diese spezifische Lieferung zu spät kommt?

Die Antwort liegt in der Resilienz der Lieferkette, die durch Redundanzen, alternative Routen und vor allem durch die Wahl des richtigen Logistikpartners geschaffen wird, der diese Risiken versteht und managt.

Wie garantieren Spediteure Termintreue bei Schneetreiben auf der A2?

Winter auf der Nord-Süd-Achse, insbesondere auf der A2, ist kein unvorhersehbares Ereignis, sondern eine jährliche Gewissheit. Professionelle Speditionen betrachten starken Schneefall nicht als „höhere Gewalt“, sondern als planbare Betriebssituation. Die Garantie der Termintreue unter diesen Bedingungen beruht nicht auf Hoffnung, sondern auf einer Strategie der proaktiven Risikoverlagerung: dem gezielten Einsatz des kombinierten Verkehrs, insbesondere der Rollenden Landstrasse (RoLa).

Der Entscheid, einen LKW auf den Zug zu verladen, ist eine betriebswirtschaftliche Kalkulation. Man tauscht das hohe Risiko einer unbestimmten Verspätung durch eine Passsperrung gegen die fixen Kosten und den verlässlichen Fahrplan der Bahn. Anstatt stundenlang im Stau zu stehen, wird der LKW zu einem planbaren Gut auf der Schiene. Dies ist ein Paradebeispiel für die Neutralisierung eines externen Risikos durch eine bewusste operative Entscheidung. Der Spediteur garantiert die Pünktlichkeit nicht, indem er das Wetter besiegt, sondern indem er sich ihm entzieht.

Verladevorgang eines LKW auf die Rollende Landstrasse bei winterlichen Bedingungen

Diese intermodale Lösung, bei der LKW auf Züge verladen werden, um die Alpen zu durchqueren, ist das Rückgrat der Schweizer Verlagerungspolitik. Sie bietet eine planbare und wetterunabhängige Alternative zur reinen Strassenbeförderung. Für einen Supply Chain Manager bedeutet die Wahl eines Spediteurs, der diese Option standardmässig in seine Winterplanung integriert, den Kauf von Planungssicherheit. Es ist die Versicherung gegen die Unwägbarkeiten der alpinen Witterung.

Letztendlich geht es darum, die Kontrolle über die Lieferkette zu behalten, selbst wenn die äusseren Umstände ausser Kontrolle geraten. Die beste Garantie ist ein System, das nicht auf Schönwetter, sondern auf die Bewältigung des Worst-Case-Szenarios ausgelegt ist.

Billig-Anbieter oder Premium-Spedition: Wer haftet bei Terminverlust wirklich?

Die Wahl zwischen einem günstigen Anbieter und einer Premium-Spedition ist eine der kritischsten Entscheidungen für einen Supply Chain Manager. Der Preisunterschied auf dem Papier kann erheblich sein, doch die entscheidende Frage ist: Was kostet eine Verspätung in der Realität? Die Antwort liegt tief in den Vertragsdetails und der definierten Haftung. Die vertragliche Absicherung ist der Punkt, an dem sich die Spreu vom Weizen trennt.

Standard-Spediteure arbeiten oft auf der Basis der gesetzlichen Mindesthaftung (z.B. nach CMR). Verspätungsschäden sind hier in der Regel ausgeschlossen oder stark begrenzt. Der Billig-Anbieter liefert einen Transport, aber keine Garantie. Ein Premium-Partner hingegen verkauft eine Leistung, die feste Lieferzeitfenster und Pönalen (Vertragsstrafen) bei Nichteinhaltung umfasst. Er hat ein ureigenes finanzielles Interesse daran, pünktlich zu sein. Diese vertragliche Verpflichtung zwingt ihn zu Investitionen in bessere Technologie, Personal und proaktives Risikomanagement.

Diese Unterscheidung wird vor dem Hintergrund der aktuellen Politik noch wichtiger. Wie das Bundesamt für Verkehr (BAV) in einer Stellungnahme zur Güterverkehrspolitik erklärt, wird der Druck auf die Wirtschaftlichkeit erhöht:

Dank günstigen Rahmenbedingungen sollen die Angebote im Schienengüterverkehr eigenwirtschaftlich betrieben werden können. Die Betriebsbeiträge für den alpenquerenden kombinierten Verkehr werden entsprechend von Jahr zu Jahr reduziert

– Bundesamt für Verkehr (BAV), Offizielle Stellungnahme zur Güterverkehrspolitik

Dieser schrittweise Abbau von Subventionen bedeutet, dass Logistikunternehmen ihre Risiken noch genauer kalkulieren müssen. Ein Premium-Anbieter internalisiert dieses Risiko und sichert es über seine Preisstruktur ab. Der Billig-Anbieter externalisiert es und überlässt es dem Kunden. Die folgende Tabelle verdeutlicht die zentralen Unterschiede in der Haftungsstruktur, die laut einer Analyse des Bundesamtes für Verkehr entscheidend sind.

Haftungsvergleich: Standard-Spediteure vs. Premium-Anbieter
Aspekt Standard-Spediteur Premium-Spediteur
Grundhaftung Nach CMR/OR begrenzt Erweiterte vertragliche Garantien
Verspätungsschäden Meist ausgeschlossen Teilweise abgedeckt mit Pönalen
Zeitfenstergarantie Keine oder vage Fixe Lieferzeitfenster mit Kompensation
Versicherungsschutz Standard-Warenversicherung Zusatz: Verspätungsschadenversicherung
Tracking & Warnung Basis-GPS Predictive Analytics mit Frühwarnsystem

Am Ende haftet bei einem Billig-Anbieter meist der Auftraggeber selbst für die Folgekosten eines Terminverlusts. Bei einer Premium-Spedition kauft man sich durch einen höheren Frachtpreis von diesem Risiko frei.

Sendungsverfolgung: Welche Systeme warnen proaktiv vor drohenden Verspätungen?

Die Zeiten, in denen Sendungsverfolgung bedeutete, einen Punkt auf einer Karte zu beobachten, sind vorbei. Für eine zeitkritische Lieferkette ist reaktives Tracking wertlos. Die entscheidende Frage ist nicht „Wo ist mein LKW jetzt?“, sondern „Wo wird mein LKW in zwei Stunden sein und mit welcher Wahrscheinlichkeit wird er sein Zeitfenster verpassen?“. Dies ist der Kern von Systemintelligenz: die Umwandlung von Rohdaten in proaktive, handlungsrelevante Warnungen.

Moderne Systeme gehen weit über einfaches GPS hinaus. Sie integrieren eine Vielzahl von Datenquellen in Echtzeit. Die Basis dafür liefern in der Schweiz nationale Verkehrsinformationszentralen wie Viasuisse, die, wie der SRF berichtet, Verkehrsdaten sammeln und bewerten. Diese Daten – aktuelle Staus, Baustellen, Wetterprognosen, Passsperrungen – werden mit den historischen Leistungsdaten der Route und den Lenk- und Ruhezeiten des Fahrers kombiniert. Ein Algorithmus berechnet daraus eine dynamische „Estimated Time of Arrival“ (ETA) und vergleicht sie kontinuierlich mit dem vertraglich zugesicherten Liefertermin.

Moderner Logistik-Kontrollraum mit Echtzeit-Überwachungssystemen

Sobald die prognostizierte Abweichung einen vordefinierten Schwellenwert überschreitet, löst das System automatisch eine Warnung an den Disponenten und den Kunden aus. Dies ermöglicht es, Gegenmassnahmen einzuleiten, lange bevor die Verspätung eintritt – sei es die Umplanung der Entladerampe oder die Aktivierung einer alternativen Lieferung. Diese vorausschauende Analyse ist überlebenswichtig, wenn man bedenkt, dass ohne die Verlagerungspolitik der Schweiz jährlich 800’000 zusätzliche Lastwagen pro Jahr die Alpen queren würden, was die Komplexität weiter erhöht.

Ein proaktives Warnsystem ist somit keine technische Spielerei, sondern ein fundamentales Instrument des Risikomanagements. Es verwandelt Ungewissheit in eine planbare Entscheidungsgrundlage.

Wann ist die beste Zeit für City-Logistik in Zürich, um Staus zu umfahren?

Die letzte Meile in urbanen Zentren wie Zürich, Genf oder Basel ist oft der komplexeste und teuerste Teil der gesamten Lieferkette. Die Herausforderungen sind vielfältig: Stosszeiten, Fahrverbote, fehlende Parkmöglichkeiten und Umweltzonen. Eine pauschale Antwort auf die „beste Zeit“ gibt es nicht; stattdessen erfordert die City-Logistik eine granulare und dynamische Planung, die auf spezifischen Zeitfenstern und Fahrzeugtypen basiert.

Der Schlüssel liegt darin, den Puls der Stadt zu verstehen und antizyklisch zu agieren. Der morgendliche Berufsverkehr zwischen 7:00 und 9:00 Uhr ist ebenso zu meiden wie der abendliche. Erfahrene Spediteure nutzen daher gezielt Nischen. Sehr frühe Anlieferungen vor 7:00 Uhr können ideal sein, um Grosskunden zu bedienen, bevor die Stadt erwacht. Ebenso können die späten Abendstunden für die Belieferung von Gastronomie oder Events genutzt werden. Während des Tages bieten sich oft überraschende Gelegenheiten, wie die relative Ruhe während der Mittagspause zwischen 11:30 und 13:30 Uhr.

Zudem wird die Wahl des Fahrzeugs immer wichtiger. Für enge Gassen und verkehrsberuhigte Zonen sind grosse LKW ungeeignet. Hier kommen zunehmend kleinere, wendige Transporter oder sogar E-Lastenräder zum Einsatz. Diese ermöglichen nicht nur eine flexiblere Zustellung, sondern erfüllen auch die immer strengeren ökologischen Auflagen der Städte. Die Koordination all dieser Faktoren – Zeit, Ort, Fahrzeug und städtische Vorschriften – ist eine Kunst für sich.

Die folgende Checkliste fasst die bewährten Taktiken zusammen, die als Grundlage für eine effiziente Planung der letzten Meile in Schweizer Städten dienen können.

Ihr Fahrplan zur Optimierung der City-Logistik

  1. Frühmorgendliche Slots nutzen: Planen Sie grosse Anlieferungen konsequent vor 7:00 Uhr, um dem Hauptberufsverkehr zuvorzukommen.
  2. Mittagspause als Chance sehen: Setzen Sie auf kleinere Fahrzeuge für flexible Lieferungen zwischen 11:30 und 13:30 Uhr, wenn der Verkehr oft leicht nachlässt.
  3. Aussenbezirke am Nachmittag: Bedienen Sie Kunden in den Randbezirken nach 16:00 Uhr, wenn der Verkehr stadtauswärts fliesst.
  4. Regularien proaktiv managen: Pflegen Sie eine aktuelle Datenbank aller städtischen Lieferzeitfenster, Zufahrtsbeschränkungen und Umweltzonen.
  5. Auf den richtigen Mix setzen: Integrieren Sie E-Lastenräder oder Kleintransporter gezielt für die Feinverteilung in autofreien oder schwer zugänglichen Zonen.

Effizienz in der City-Logistik ist somit kein Zufall, sondern das Ergebnis einer minutiösen, datengestützten Planung und der Bereitschaft, traditionelle Liefermuster zu durchbrechen.

Warum die Zustellung innert 2 Stunden die Logistikkosten verdreifacht

Der Wunsch nach sofortiger Verfügbarkeit, getrieben vom E-Commerce, stellt die Logistik vor enorme Herausforderungen. Eine Zustellung am nächsten Tag ist heute Standard, aber die Lieferung innerhalb von zwei Stunden ist eine völlig andere Disziplin. Sie operiert nach eigenen Gesetzen und verursacht eine Kostenexplosion. Der Grund dafür ist nicht die schnellere Fahrt, sondern der komplette Zusammenbruch der Effizienzprinzipien, auf denen die klassische Logistik beruht: Bündelung und Auslastung.

In der Standardlogistik werden Sendungen über Nacht in einem Hub konsolidiert, Touren optimiert und Fahrzeuge bis zu 95% ausgelastet. Jeder Stopp auf der Route ist profitabel. Eine 2-Stunden-Lieferung hingegen ist eine Ad-hoc-Einzelmission. Ein dediziertes Fahrzeug muss sofort für eine einzige Sendung losfahren. Die Fahrzeugauslastung bricht auf 30-40% ein, während die Kosten pro Sendung explodieren. Zudem müssen Speditionen für solche Expressdienste permanent freie Fahrzeuge und Fahrer in Bereitschaft halten (Stand-by-Kapazitäten), was die Fixkosten massiv erhöht.

Diese ökonomische Realität wird oft übersehen. Der Kunde sieht nur den Wunsch nach Geschwindigkeit, der Logistiker die mathematische Unmöglichkeit, dies kostendeckend im Standardmodell abzubilden. Die folgende Aufschlüsselung zeigt, wo die Kostenhebel bei einer Express-Zustellung ansetzen.

Kostenstruktur: Standard- vs. Express-Zustellung
Kostenfaktor Standard (24h) Express (2h) Faktor
Fahrzeugauslastung 85-95% 30-40% 3x höhere Kosten/Sendung
Dispositionsaufwand Gebündelt Ad-hoc Einzelplanung 5x Personalzeit
Stand-by Kapazitäten Keine Permanente Bereitschaft +150% Fixkosten
Routenoptimierung Vollautomatisiert Manuell/Teilautomatisiert 2x Planungskosten

Trotz der hohen Kosten gibt es Nischen, in denen sich die Express-Lieferung rechnet. In der Schweizer Medizintechnik-Branche zum Beispiel, wo der stündliche Ausfall einer Produktionsanlage Kosten von bis zu 100’000 CHF verursachen kann, ist eine 2-Stunden-Lieferung für ein kritisches Ersatzteil wirtschaftlich absolut sinnvoll. Hier übersteigen die „Kosten der Unpünktlichkeit“ die Transportkosten um ein Vielfaches.

Eine 2-Stunden-Lieferung ist also kein „schnellerer Transport“, sondern ein fundamental anderes, teures Serviceprodukt, dessen Einsatz eine klare betriebswirtschaftliche Rechtfertigung erfordert.

Tunnel zu: Wie schnell können Sie Ihre Flotte bei einer Vollsperrung umleiten?

Eine Vollsperrung eines Alpentunnels wie des Gotthards oder des San Bernardino ist der ultimative Test für die Agilität einer Logistikflotte. Die Geschwindigkeit, mit der ein Unternehmen reagieren kann, ist ein direkter Indikator für seine operative Exzellenz und technologische Reife. Es geht nicht darum, ob man eine Alternative hat, sondern wie schnell diese automatisiert aktiviert wird. Dieser Prozess wird als elastische Routenplanung bezeichnet.

Führende Speditionen verlassen sich nicht auf manuelle Anrufe beim Fahrer. Sobald eine offizielle Sperrung gemeldet wird, greift ein vordefiniertes Notfallprotokoll. Das Transport-Management-System (TMS) identifiziert sofort alle betroffenen Fahrzeuge. Anhand der Position, des Fahrzeugtyps und der Ladung wird die optimale Ausweichroute – sei es über einen anderen Pass wie den Simplon oder zur nächsten Verladestation der Rollenden Landstrasse (RoLa) – automatisch berechnet und an das Navigationssystem des Fahrers gesendet. Gleichzeitig wird die ETA neu kalkuliert und der Kunde proaktiv über die Verzögerung und die ergriffenen Massnahmen informiert.

Vogelperspektive auf alternative Alpenrouten bei Tunnelsperrung

Diese Reaktionsfähigkeit ist bei dem hohen Verkehrsaufkommen von entscheidender Bedeutung. Im Jahr 2020 beispielsweise, wie Logistik-Online berichtete, passierten trotz eines leichten Rückgangs immer noch 863’000 LKW die Schweizer Alpen. Eine Sperrung betrifft also Tausende von Fahrzeugen gleichzeitig. Ein klar definiertes Vorgehen ist hierbei essenziell:

  • Sofortige automatische Benachrichtigung aller betroffenen Fahrzeuge via TMS.
  • Aktivierung vordefinierter Alternativrouten (z.B. San Bernardino, Simplon).
  • Automatisierte Prüfung der Gewichtslimiten und Durchfahrtshöhen für die Ausweichpässe.
  • Bei längerer Sperrung: Umleitung zur nächstgelegenen RoLa-Verladestation.
  • Neuberechnung der ETA und automatische Kundenbenachrichtigung.

Die Frage ist also nicht, ob Ihr Spediteur einen Plan B hat, sondern ob dieser Plan B ein automatisierter Prozess ist, der in Minuten statt in Stunden greift.

Das Wichtigste in Kürze

  • Risiko quantifizieren: Bewerten Sie Verspätungen nicht in Minuten, sondern in den konkreten Kosten, die ein Produktionsstillstand verursacht.
  • Verträge als Versicherung: Wählen Sie Logistikpartner nicht nach dem günstigsten Frachtpreis, sondern nach der besten vertraglichen Absicherung gegen Terminverlust.
  • Technologie als Frühwarnsystem: Setzen Sie auf Spediteure mit proaktiver Systemintelligenz, die Probleme vorhersagt, statt sie nur zu melden.

Same-Day-Delivery in der Schweiz: Ist der Kunde wirklich bereit, dafür zu zahlen?

Same-Day-Delivery ist das Schlagwort der modernen Logistik, doch die Frage der Zahlungsbereitschaft ist in einem topografisch so anspruchsvollen Land wie der Schweiz differenziert zu betrachten. Die Antwort ist ein klares „Es kommt darauf an“. Die Akzeptanz für die hohen Premium-Preise hängt stark vom Kontext ab: urbanes Zentrum versus alpine Region, B2C versus B2B.

In urbanen Zentren wie Zürich oder Genf ist die Nachfrage im B2C-Bereich vorhanden, oft getrieben von Bequemlichkeit. In ländlichen oder alpinen Gebieten ist die Zahlungsbereitschaft für die schnelle Lieferung eines Konsumguts jedoch deutlich geringer. Ganz anders sieht es im B2B-Sektor aus. Hier ist die Entscheidung rein ökonomisch. Für einen Landwirtschaftsbetrieb in einem abgelegenen Tal, dessen Erntemaschine ausgefallen ist, oder für ein Skigebiet, bei dem ein kritisches Ersatzteil für eine Seilbahn fehlt, ist Same-Day-Delivery keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Die Kosten der Lieferung sind vernachlässigbar im Vergleich zu den enormen Ausfallkosten.

Die Zahlungsbereitschaft ist also direkt an die „Kosten der Unpünktlichkeit“ gekoppelt. Wo diese Kosten hoch sind, wird der Premium-Service ohne zu zögern gebucht. Dieses Prinzip ist das Fundament der gesamten Schweizer Güterverkehrspolitik, die seit Jahrzehnten versucht, die externen Kosten des Transports zu internalisieren. Wie das Bundesamt für Verkehr anmerkt:

Mit seinem Ja zur Alpeninitiative hat das Stimmvolk 1994 den Bund beauftragt, den alpenquerenden Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Umgesetzt wird die Verlagerungspolitik seit 30 Jahren durch das BAV

– Bundesamt für Verkehr, 30 Jahre Alpeninitiative – 30 Jahre Verlagerungspolitik

Diese langfristige strategische Ausrichtung zeigt, dass es in der Schweiz schon immer darum ging, die wahren Kosten des Transports sichtbar zu machen. Same-Day-Delivery ist nur die jüngste Ausprägung dieses Prinzips auf der Mikroebene.

Für Sie als Supply Chain Manager bedeutet dies: Analysieren Sie genau, wo in Ihrer Lieferkette die Kosten eines Ausfalls den Preis für eine Express-Lieferung rechtfertigen, und definieren Sie Ihre Logistikstrategie entsprechend – statt pauschal auf Geschwindigkeit zu setzen.

Geschrieben von Reto Gerber, Erfahrener Transportleiter und Disponent für nationale Schwer- und Spezialtransporte. Spezialist für Alpenquerungen und Routenplanung.